Uwe Tellkamp: "Das Atelier"
25.08.2024
An der Spree kratzt man sich noch immer den Kopf: „Wieso wählen so viele, besonders freigeistig-künstlerische Köpfe und allen voran im Osten Deutschlands, politisch blau?“. Der Schriftsteller, Uwe Tellkamp, liefert allen, denen der Kopf juckt, die Antwort. Mit seiner Novelle „Das Atelier“.

Seine Antwort ist dabei so einfach, wie einleuchtend. Mit Extremismus hat es mitnichten zu tun. Weder mit Rechts- noch Links- oder irgendeinem sportlichen Extremismus. Nein. Es geht, schlicht und ergreifend, um die deutsche Kultur: Um Caspar David Friedrich und Johan Christian Clausen Dahl, um Otto Dix und Hermann Glöckner, um Neo Rauch und Axel Krause, undsoweiterundsofort.

Doch „Das Atelier“ ist nicht nur eine Tellkamp’sche Führung durch die Sternstunden der deutschen Geschichte. Es ist auch ein Zeitdokument über die ostdeutsche Mentalität, wo man, anders als in weiten Teilen Westdeutschlands, noch die deutsche Kultur pflegt und sich mit ihr tiefgreifend auseinandersetzt - auch in der intellektuellen Szene. Indem man selber schreibt oder malt oder bildhauert. Indem man die Werke altehrwürdiger Künstler und die der Kollegen genießt und begutachtet. Oder indem man ganz genüßlich den regionalen Wein und den heimischen Postelein verzehrt. Mit Nationalismus hat das rein gar nichts zu tun. Eher mit der Würdigung und Anerkennung des Schönen und der Erkenntnis.

So stehen im Zentrum Tellkamps Erzählung die beiden Künstler Martin Rahe (samt seiner Frau Nina Schmücke) und Thomas Vogelstrom. Vermutlich repräsentieren alle bedeutende Vertreter der Neuen Leipziger Schule. Rahe Neo Rauch, Nina Schmücke Rosa Loy und Vogelstrom Axel Krause. Der passive, sich im Hintergrund aufhaltende Ich-Erzähler, der Schriftsteller Fabian, exemplifiziert hingegen den Autor höchstpersönlich, Uwe Tellkamp:

Beobachtend, suchend, findend bewegt sich dieser durch die Welt der Kunst und Kunstszene, allen voran der ostdeutschen Kunstszene. Informative und stichhaltige Exkurse über verstorbene Künstler und deren Kunstwerke wechseln sich hierbei mit schnelllebigen Zusammenfassungen ab. Dort der Maler Osmar Schindler, da sein Werk „Junge Frau vor gelbem Grund“ und hier das Jahr 1905, mit einer russischen Revolution, dem Tod Jules Vernes und einer kurzen Geschichte des Rollkragenpullovers. Schließlich ziert eine Frau mit weißem Rollkragenpullover das Bild mit Entstehungsdatum 1905.

Amüsante Dialoge im Thomas Bernhard’schen Ausmaße runden das Ganze noch einmal ab und sorgen für den nötigen inhaltlichen wie formalen Schliff. Dem doch intellektuell anmutenden Lesestoff (über Kunst und Kunstgeschichte) stellen die teilweise leidenschaftlich gespickten Gespräche das komplementäre Gegengewicht dar: „Kunst-Sparschweine, Kunst-Lumpen, Kunst-Gesindel! Drittmitteleinwerbung, Gremienarbeit, Gequatsche den ganzen Tag, vor allem gehe es um eines: Wer bekommt welchen Posten.“, wie der Protagonist Vogelstrom bemerkt.

Als „Kunst-Lumpen“ würde Vogelstrom Tellkamps „Das Atelier“ mit Sicherheit nicht bezeichnen. Wohl eher als „Kunst-Werk“. Denn das ist es: eine schriftstellerische Meisterleistung, die weder politisiert noch karikiert oder anklagt. Tellkamp verbindet ausschließlich eine konzise und präzise Sprache mit kunsthistorischen und künstlerischen Fakten. Ganz ohne Schnörkeleien und ohne Beschönigungen. Stets auf den Punkt kommend.

Folglich ist „Das Atelier“ als eine realistische Erzählung der ostdeutschen Wirklichkeit anzusehen, bei der handwerkliches Talent auf intellektuellen Geist trifft. Dem Leser eröffnet sich so auf ungefähr über 100 Seiten ein hervorragender Einblick in den intellektuellen Geist, der durch den Osten Deutschlands weht: über das kulturelle Erbe, über die intellektuelle Ambition und über den Stolz auf die eigenen kulturellen Errungenschaften.

Obwohl das Werk bereits aus dem Jahr 2020 stammt, hat es an der Beschreibung ostdeutscher Wirklichkeit kaum an Aktualität verloren und kann so manche Wahlergebnisse erklären. Doch wie der große Karl Kraus bereits wusste: „Ein Witzbold: Kopfjucken ist keine Gehirntätigkeit“.

Tellkamp, Uwe (2020). „Das Atelier“. Dresden: edition buchhaus loschwitz.
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