Felix Heidenreich: "Der Diener des Philosophen"
04.08.2024
Der Marsch durch die Institutionen. Er ist vollbracht. Wo das Auge nur hinblickt, Universitäten, Redaktionen, Theaterbühnen, eine links-grüne Weltanschauung reiht sich der anderen an. Es ist eine geschlossene Gesellschaft, es ist eine Welt der „Guten“, es ist die Insel der Seligen: ein postmodernes Elysium könnte man auch sagen. Dort herrscht, auf mit Regenbogenflaggen geschmückten Wiesen, eine Friede-Freude-Eierkuchen-Fantasie, auf der die Vielfalt als Einheit und Randerscheinungen als Norm angepriesen wird.

Das Konservative erscheint dort wie ein zu verachtendes, museales Relikt aus längst vergessenen Tagen um den fleischfressenden Tyrannosaurus Rex. Dem ist aber nicht so. Konservative Werte wird es immer geben. Das Traditionelle, das Regionale, das Familiäre. Sie spenden Halt, sie schenken Nähe und sie stehen für eine bestimmte Lebenseinstellung. Eine Einstellung, die es nicht auszugrenzen gilt, wie es jedoch gängige Praxis in bestimmten Kreisen ist.

Wie sich diese Ausgrenzung für einen Konservativen anfühlt und was er dabei denkt, hiervon berichtet Ulrich Greiner in seinem sanft klingenden Essay „Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen“. Kühl und zugleich enttäuscht stellt er fest: Er ist „heimatlos“. Weil er zurückgedrängt wurde. Von links-grüner Seite. Weil er nicht zugelassen wird. Aus Angst vor Machtverlust. Es ist ein Teufelskreis.

Er selbst schreibt dazu: „Als Konservativer bin ich insofern heimatlos, als die Leitmedien, von den tonangebenden Zeitungen bis hin zu den öffentlich-rechtlichen Anstalten, ganz überwiegend einen Anpassungsmoralismus pflegen, der gegensätzliche Meinungen keinen Resonanzboden bietet. Das gilt für politische Parteien erst recht“. Vereinheitlichung in der Berichterstattung, Vereinheitlichung im Politikbetrieb, Vereinheitlichung im Denken. Mit Diversität hat das nicht wirklich viel zu tun.

Deswegen begibt sich der ehemalige „Zeit“-Feuilletonchef auf Spurensuchen. Indem er unter anderem auf die Selbstbezüglichkeit der Medien, die moralische Selbsterhöhung der Linken und ihrem Zerstörungspotential für westliche Errungenschaften sowie einer Begriffsklärung von „Konservatismus“ eingeht. Hierbei lässt er unter anderem Wolf Biermann, ehemals Kommunist, zu Wort:

„‘Wer sich heute noch Kommunist nennt, brannte es mir durchs Gehirn, der versteht sich als einen guten, einen richtigen, einen bessere Kommunisten. Er unterliegt aber dem gleichen Irrtum wie ein guter Nazi, der den Massenmord an den Juden für einen Fehler hält, den man beim nächsten totalitären Tierversuch an lebendigen Menschen besser vermeiden sollte’“.

Klarer hätte es Biermann nicht formulieren können. Nota bene: Seine Aussage lässt sich problemlos auf die links-grüne Ideologie übertragen. Ideologie ist Ideologie. Egal ob von links, von rechts oder sonstwo. Trotzdem würden „Kommunismus und Sozialismus noch immer für letztlich humanitäre Ideen gehalten […], während alles politisch Konservative unverzüglich und erfolgreich in die Nähe des Rechtsextremismus gerückt und somit erledigt wird.“

Deswegen müsse „konservativ“ klar umrissen und von Begriffen wie „rechtsextrem“ oder „rechtsradikal“ klar unterschieden werden. Hierbei greift Greiner auf Botho Strauß’ Verständnis zurück, was es heißt, „rechts“ zu sein: „‘Es handelt sich um einen anderen Akt der Auflehnung: gegen die Totalherrschaft der Gegenwart, die dem Individuum jede Anwesenheit von unaufgeklärter Vergangenheit, von geschichtlichem Gewordensein, von mythischer Zeit rauben und ausmerzen will’.“

Mit dieser Definition nun versucht Greiner eigenständig „konservativ“ begrifflich zu umreißen. Bedeutsam in diesem Kontext ist, dass er von der Existenz einer Leitkultur und der Wichtigkeit des Christentums spricht, und einem eklatanten Unterschied zwischen dem Orient und dem Okzident sieht. Während dort das Individuum nichts sei und die Gruppe alles, sei es im westlichen Kulturkreis umgekehrt. Ein Konflikt der Kulturen sei somit unvermeidlich.

So wie der eklatante Konflikt zwischen westlichen Werten und einer links-grünen Weltanschauung: „Wir sind auf dem besten Weg in eine Diktatur der Fürsorge“. Diese Fürsorge aber unterminiere jegliche Freiheit. Freiheit, die einen essentiellen Wert und eine essentielle Errungenschaft unserer westlichen Gesellschaften darstelle. Deswegen brauche es eines institutionell verankerten konservativen Liberalismus oder eines liberalen Konservatismus.

Obwohl „Heimatlos“ bereits 2017 veröffentlicht wurde, hat es an Aktualität mitnichten verloren - wohl eher hinzu gewonnen. Denn: Das konservative Vakuum wurde seit Jahren nicht ausgefüllt. Weder intellektuell noch politisch oder wirtschaftlich. Die Mehrheit der Machteliten surft noch immer auf dem links-grünen Zeitgeist: egal ob sie sich als konservativ, liberal oder links-grün begreift. Diversität, Islam und Klima wiegen für sie mehr als das Engagement westliche Werte zu „konservieren“. Eben das ist es, was „Konservative“ antreibt. Für Werte einzustehen, die sich bisher sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft als bewährt und erfolgreich herausgestellt haben.

Deswegen ist „Heimatlos“ eine durchweg gelungene Hommage an den Konservatismus. Seine melodische Form mit angenehmer, aber nicht abgehobener Bildungssprache plus intellektuellen Rekurse auf Niklas Luhmann und andere, lassen den Leser über die fast 160 Seiten schweben. Ohne intellektuelle Ausrutscher befürchten zu müssen, kann der Leser sich über zehn Kapitel lang fallen lassen, um Greiners Ausführungen bedächtig lauschen zu können. Grundsätzlich fragend, suchend, ertastend geht Greiner vor und fragt sich: „Quo vadis“ Konservatismus? Richtigerweise müsste es heißen: „Quo vadis“ Vernunft?

Greiner, Ulrich (2017). „Heimatlos. Bekenntnisse eines Konservativen“. Reinbek: Rowohlt.
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