Heidegger: „Was heißt denken?“
10.03.2024
„Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing“. In staatlichen Strukturen reüssiert, wer auf Linie ist. Das gilt nicht immer und auch in Maßen. Aber in ideologischen Zeiten umso mehr. Wie den unsrigen. Professoren sind in Wirklichkeit „Wissenschaftologen“, also das staatliche „Gehirn“. Mainstream-Journalisten schlüpfen in die Rolle des verlängerten Propaganda-Arms der Regierung. Und linientreue Kulturschaffende repräsentieren die aktivistisch-ausführende Hand.

Deswegen gilt auch der große Philosoph, Martin Heidegger, als umstritten. Nicht „umstritten“ im heutigen Sinne, also „regierungskritisch“, sondern wirklich „umstritten“. Zu Recht. Er war regierungsfreundlich, regierungstreu, sogar regierungshörig. Und wohin das führte, das weiß ein jeder: mit seiner politische Position unterstützte Heidegger einen menschenfeindlichen, anti-demokratischen und verbrecherischen Staat. Berufsintellektuelle hören es nicht gerne. Aber: Heidegger exemplifiziert hervorragend, dass auch der durchschnittliche Berufsintellektuelle nur ein Mensch mit Gefühlen, Neigungen und Haltungen ist. Einer, der sich ideologisch verirren kann.

Und das nicht gerade selten. Damals war es die Schwäche für den Nationalsozialismus, während der 1968er-Bewegung das Mitgefühl für die sozial Schwächeren und heute ist es die leidenschaftliche Opposition gegen alles Westliche und Vernünftige: gegen das Individuum, gegen das Rationale, gegen das Argument. Trotzdem hatte Heidegger vielen unserer heutigen Berufsintellektuellen etwas voraus. Er war ein echter Denker, ein echter Philosoph.

Daher hat der Reclam-Verlag genau zur richtigen Zeit genau den richtigen Vorlesungs-Zyklus von Heidegger neu aufgelegt: „Was heißt Denken? Vorlesung Wintersemester 1951/52“. Denn: In unserer Gesellschaft wimmelt es nur so von Schreiberlingen*innen, Forscher*innen und Philosoph*innen. Jeder der einigermaßen die Feder führen kann, hält sich für einen reinkarnierten Karl Kraus oder Hermann Broich. Jeder, der an einer Forschungseinrichtung sitzt und staatliche Forschungsgelder erhält, fühlt sich wie der nächste Nobelpreisträger. Und jeder, der Theodor W. Adorno liest, fühlt sich als sein Nachfolger. Was für ein Desaster!

Das ist der eigentliche „Klima-Wandel“, vor dem sich die westliche Zivilisation sorgen sollte: das abnehmende Interesse an intellektuellen Tätigkeiten, und die einhergehende „menschengemachte“ intellektuelle und zivilisatorische Barbarei. Erste Knospen sprießen schon freudig hervor: alles, was „rechts“ der Mitte ist, gilt als „nationalsozialistisch“, „demokratisch“ ist ausschließlich das, was der politisch „links-grünen“ Agenda entspricht oder Ursache und Wirkung werden verdreht. Wie zum Beispiel, dass konservativ-liberale Stimmen zunehmen, weil viele Deutsche qua ihrer Natur knallharte „Rechtsextreme“ seien.

Diese Denkverwirrungen zeigen: Denken ist ein komplexer Prozess. Eine Fähigkeit mit höchsten Anforderungen, eine Kunst, die nur wenige beherrschen. Und genau das verdeutlicht Heidegger mit seiner Vorlesung. Etwa 1200 Hörer kamen hierzu im Wintersemester 1951/52 jeden Freitag zwischen 17 und 18 Uhr an die Universität Freiburg zusammen. Wo kann man diese intellektuell interessierte Menschenmasse heute noch finden? Eine Stunde geballte Portion selbständigen Denkens gepaart mit unideologischem Philosophieren vor intellektuell fähigem und willigem Publikum?

Die Massen von heute begeistern sich eher für Menschenketten gegen „rechts“, dem Entlarven irgendwelcher „konspirativer“ Geheimtreffen oder für junge Mädchen, die sich hochengagiert um das Klima bemühen, gleichzeitig aber „Free Palestine“ rufen. Sie und die Massen zweifeln keinen Moment an sich und ihren Positionen. Sie bilden die „Brandmauer“ der zweifellos Wissenden.

Ganz anders Heidegger. Er muss zu der Erkenntnis kommen, dass er nicht gänzlich beantworten könne, was Denken sei. Daher auch seine abschließenden Worte: „Das Sein des Seienden ist das Scheinendste; und doch sehen wir es gewöhnlich überhaupt nicht – und wenn, dann nur mit Mühe.“ Was für ein Eingeständnis von einem exzeptionellen Denker. Einem, der sich außerdem noch Unterstützung von zwei Ausnahmetalenten einholte, die wie nur wenige Denken und Leidenschaft miteinander verbinden konnten. Der eine drückte sich eher melodisch aus, nämlich der große Dichter, Friedrich Hölderlin. Der andere sprühte leidenschaftlich nur so vor tiefsinnigen Gedanken, namentlich Friedrich Nietzsche.

Gerade diese Kombination, aus Dichten und Denken, soll uns, nach Heidegger, der Wahrheit näher bringen: „Das Dichten ist darum das Gewässer, das bisweilen rückwärts fließt der Quelle zu, zum Denken als Andenken“. Poetischer und philosophischer hätte sich Heidegger nicht ausdrücken können. Hierbei orientiert sich Heidegger an zwei Aussagen: Erstens Hölderlins: „Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste“. Diesen Gedanken setzt er als Ausgangspunkt für seine essentielle Beziehung zwischen Dichten und Denken. Zweitens Nietzsches: „Die Wüste wächst“. Dieser Satz dient ihm als Hauptaussage, um zu beantworten, was Denken sei.

Wer Heidegger und vor allem seine Fundamentalontologie aus „Sein und Zeit“ kennt, weiß wie denkerisch spielend und einmalig er dabei vorgeht. Mit Wortspielereien, wie „das Bedenkliche“ und „das Bedenklichste“ oder mit Neo-Logismen, wie aus dem Substantiv „Wesen“ das neu erstellte Verbum im Satz: „Aber das je jetzige ‚jetzt‘ west an, indem es vergeht“. In dieser Manier, und mit großer Unterstützung Nietzsches, widmet sich Heidgger seiner grundlegenden These: „Das Bedenklichste in unserer bedenklichen Zeit ist, daß wir noch nicht denken“.

Angefangen von seinem Verständnis, was denn nun „das Bedenklichste“ überhaupt bedeute, arbeitet sich Heidegger intellektuell scharf, aber feinsinnig, unter anderem an Konzepten, wie „Vorstellen“, „Rache“ und „Zeit“ ab. Schlussendlich bringt ihn das auf die Bedeutsamkeit der Beziehung zwischen dem „Sein des Seienden“ und dem „Bezug zum Wesen des Menschen“, die noch immer nicht „bedacht“ seien. Denn: „Der Gedanke der ewigen Wiederkehr des Gleichen bleibt verhangen – nicht nur durch einen Vorhang“. So seine Quintessenz.

Obwohl Heidegger diesen Vorhang der Erkenntnis ohne eine konkrete Antwort fallen lässt, lohnt sich die Lektüre von „Was heißt Denken? Vorlesung Wintersemester 1951/52“ allemal. Aus verschiedenen Gründen. Erstens, Heidegger unterscheidet zwischen „Politik“ und „Philosophie“. Politischen Positionierungen haben in seiner Philosophie nichts zu suchen. Weder als Grundthese noch als Motiv oder als Ziel. Stattdessen spielen das ausschließliche Philosophieren und ideologiefreies Denken eine entscheidende Rolle - anders als heutzutage, wo links-grüne Ideologien allzu oft den Unterbau für wissenschaftliche Studien darstellen. Zweitens, Heidegger beschäftigt sich mit tiefsinnigen Gedanken, die intellektuell herausfordern und antreiben - anders als heutzutage, wo mittlerweile auch im Universitätsmilieu Gedanken weniger „Heideggerisch“, dafür umso mehr à la „Oprah Winfrey“ formuliert werden. „Edutainment“ lautet das Schlagwort. Drittens, die Demut, mit der Heidegger sich seinen Gedanken nähert, erfrischt enorm - anders als die ganzen „Gut-Menschen“, „Besser-Wisser“ und „Am-besten-Könner“. Ohne Moral, ohne Zweifel, ohne Kompetenz.

Daher: Heideggers Vorlesungs-Zyklus ist eine absolute Leseempfehlung. Um sich an Nietzsches grandiosen Untertitel aus „Also Sprach Zarathustra“ zu orientieren: Heideggers „Was heißt Denken?“ ist „ein Buch für alle und keinen“. So einfach. Und gleichzeitig doch so kompliziert. Grandios!

Heidegger, Martin (2023). „Was heißt denken? Vorlesung Wintersemester 1951/52“. Ditzingen: Reclam jun.
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