Meine Universität
„March for Science“:
Ostermarsch der
Wissenschaftler
05.04.2018
Welch frohe Botschaft: am 14.
April findet zum zweiten Mal der „March for Science“ statt. Wobei
das eigentlich so nicht korrekt ist. Vielmehr ist es ein mehrtägiges
Event mit Podiumsdiskussionen im Vorfeld, die dann am 14. April mit
Demonstrationen in mehreren Städten kulminieren. Es ist der
verspätete Ostermarsch von Wissenschaftlern. „Peace for Science“.
Und weil Wissenschaftler
Wissenschaftler sind, bleibt nichts dem Zufall überlassen. Unnötige
Störvariablen werden dezimiert. Deswegen haben die Initiatoren des
„March for Science“ ein Rahmenmodell „Für die Freiheit der
Wissenschaft!“ mit ihrer Geheimwaffe, der
„Wissenschaftskommunikation“ entwickelt. Dieses fußt en gros auf
drei Anknüpfungspunkten. 1. Wissenschaft und Gesellschaft, 2.
Wissenschaft und Bildung und 3. Wissenschaft und Politik. Dass
hierfür ein Jahr intellektueller
Anstrengung nötig war?
Na ja, lieber zu spät, als nie.
En détail sieht es wie folgt
aus. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft schreiben die
Initiatoren: „Wissenschaft ist Teil der Gesellschaft; und weite
Teile der Gesellschaft finden Wissenschaft gut.“ Knifflige Sache.
Denn wie hängen diese beiden Teilsätze zusammen? Will hier
Wissenschaft ihre Existenz durch gesellschaftliche Meinung
legitimieren? Nach dieser Logik könnte man auch sagen: „Shopping
Queen ist Teil der Gesellschaft; und weite Teile der Gesellschaft
finden Shopping Queen gut“. Na und?
Wie eine Drama Queen führen
sich die Initiatoren auf. Sind sie politisch schon so indoktriniert
und machtgeil, dass sie noch mehr gesellschaftlichen Einfluss haben
wollen? Populär- und zeitungswissenschaftliche Lektüre gibt es doch
zu Genüge? Wer, wenn nicht ihre Zunft haben hier ihre
erkenntnisstrebenden Händchen im Spiel?
Dieser Hoheitsanspruch setzt
sich auch im zweiten
Anknüpfungspunkt „Wissenschaft und Bildung“ durch,
nämlich „Menschen zu verantwortlichen Persönlichkeit
heranzuziehen, die nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse kritisch
hinterfragen, sondern auch in der Lage sind, ihre Kritik auf
Grundlage soliden Wissens konstruktiv zu begründen.“
Meines Wissens nach ist dieser
Bereich bereits besetzt? Kurzer Hinweis: Sie sind an Schulen? Haben
zwei Ohren? Einen pädagogischen Hintergrund? Die Rede ist von
Lehrern. Und es sind nicht irgendwelche Lehrer. Nein, es sind die
Lehrer, die das Lehren, was sie von ihren wissenschaftlichen
Oberlehrern an den Universitäten gelernt haben, was diese wiederum
an ihre Schüler weitergeben, die vermutlich die zukünftigen
Pädagogen und Wissenschaftler werden, die wiederum…
Ein didaktischer „circulus
vitiosus“. So schwindelerregend, wie auch der dritte Anspruch
zwischen „Wissenschaft und Politik“ im genannten Handlungsrahmen.
Man kann es nur als Drohung, ja Kampfansage verstehen. Eigentlich ein
„Krieg der Wissenschaftssterne“. Denn „Wissenschaft hat eine
Verantwortung für den Erhalt unserer Demokratie“ und es ist
wissenschaftliches Ehrgefühl, dass Wissenschaftler dazu zwingt „sich
als Bürger in den politischen Diskurs [einzubringen]“.
Das Bundesministerium für
Bildung und Forschung unterstützt doch genügend Forschungsprojekte.
Wissen die ganzen Wissenschaftstränen nicht, dass Wissenschaft und
Politik ein explosives Gemisch ergeben? Wissenschaft strebt nach
Erkenntnis. Das Ziel von Politik ist Einflussnahme. So gibt sie die
Rahmenbedingung für die Forschung vor - sowie die Wirtschaft. Wohin
das alles führt, zeigte jüngst der Dieselskandal um die
abgasschnüffelnden Affen und Menschen. Plötzlich war das
wissenschaftliche Ehrgefühl futsch. War die Versuchung zu groß und
haben die Dieselforscher zu viel Zeit am Auspuff verbracht? Hat der
Diesel ihnen den wissenschaftlichen Durchblick vernebelt?
Aber
immerhin wird
endlich klar,
warum so viele Wissenschaftler unter Nacken- und Schulterschmerzen
leiden. Bei dieser verantwortlichen Last, die auf diesen schmalen
Wissenschaftlerschultern liegt und
den tagtäglichen moralischen Bredouillen, denen sie ausgeliefert
sind, kann man staunen, dass diese sich noch so gut halten.
Verständlicher wird dieses
wissenschaftliche Invalidenleiden, wenn man sich die grundlegenden
Werte anschaut, auf denen die drei Handlungsfelder aufbauen: Wahrheit
und Freiheit. Die Nachfahren Kants, Bohrs und Adornos verwirklichen
sie auf ihre eigene abgefahrene und rebellische Weise. Sie trauen
sich dorthin, wo sich die wenigsten trauen. Unter ganz normale
Menschen, auf die schmutzigen und maroden Straßen des Alltags.
Und damit der
Konfrontationsschock nicht zu groß ist, wird erstmals klein
angefangen. Zu viel Risiko will man schließlich auch nicht eingehen.
Wer sonst könnte diesen Kampf der Kämpfe weiter fortsetzen?
Deswegen bewegt man sich zunächst behutsam auf sicherem Terrain. Das
bedeutet einige Meter Radius um die Universität herum.
Wissenschaftlich
millimetergenau bemessen.
Nicht nur der eigenen
Sicherheit willen, sondern auch derjenigen von Passanten. Wer weiß,
welche Bestie aus manchem Wissenschaftler plötzlich zum Leben
erweckt wird. Denn diese „stehen beispielsweise unter enormen
Druck, möglichst viel zu publizieren“ und „des weiteren wird von
ihnen erwarten, möglichst umfangreiche Gelder von außen
einzuwerben“. Da kann man schon mal durchdrehen.
Endlich wird aber Klartext
gesprochen: Das Wissenschaftlerdasein in Deutschland ist ein tristes
und unattraktives mit noch dreckigeren und abstoßenderen
Arbeitsbedingungen. Na klar, es ist nicht angenehm, sich von Vertrag
zu Vertrag hangeln zu müssen, Publikationen am Fließband
veröffentlichen zu müssen und die Drittmittelprostituierte auf
Abruf zu spielen. Bei dem „enormen Druck“, der unvergleichbar mit
dem einer Aldi-Kassiererin oder eines Postboten ist, kann man die
Aufregung aber verstehen.
„Die Rahmenbedingungen und
Anreizstrukturen des Wissenschaftssystems sind mit den Werten der
Freiheit und der Wahrheit nur bedingt vereinbar“, heißt es in der
Erklärung. Aber ist es „mit den Werten der Freiheit und der
Wahrheit“ vereinbar, wenn man unter dem Vorwand des Kampfes gegen
„alternative Fakten“ den „March for Science“ zum
selbstinszenierten, nicht
gerechtfertigten
Opfermarsch hochstilisiert? Sich nur auf den deutschen
Universitätsbetrieb konzentriert wird, weil „die Situation in
Deutschland […] eine völlig andere als in der Türkei, in Ungarn
oder den USA“ ist.
Kurzer Zwischeneinwand: Ist es
legitim und wissenschaftlich sauber, die Situation in den USA mit der
in der Türkei und Ungarn zu vergleichen? Oder
hatte hier mal wieder die Ethikkommission aus der VW-Dieselaffäre
ihre Hände im Spiel?
Dass Wissenschaftler gut
kombinieren können, weiß die Republik spätestens seit den
Plagiatsaffären um „KT“ Guttenberg, der bayerischen
CSU-Charmeoffensive, oder um Silvana Koch-Mehrin, der liberalen
Expertin für lateinische Münzunion. Darum wundert es nicht, wenn
man abgekupferte Slogans für den „March for Science“, wie diese
findet: „Keine Obergrenze für Forschung“, „Wissenschaft für
alle“ oder „Wir wollen wissen“. Solange es nicht beim „wollen“
bleibt...
Deswegen liebe Teilnehmer des
„March for Science“: Bitte lasst euch den Druck nicht über den
Kopf steigen - zumindest beim „Transpi-Workshop“, eurem
gemeinsamen Basteln der Transparente - und merkt euch euren Slogan
„Von der Straße in die Köpfe“. Sonst könnte es heißen: „Von
der Straße auf eure Köpfe“. Die Straße, die hat nämlich ihre
eigenen Regeln. Und das
sind nicht immer die der Wissenschaft.