Hyperengagement
Wie
engagiere ich mich ohne wirklich engagiert zu sein?
Eine
Anleitung für egomanische Möchtegernaktivisten
12.01.2017
Alle
engagieren sich oder zumindest die, die etwas von sich halten.
Politisch, gesellschaftlich, kulturell. Hier, dort, einfach überall.
Egal „wie“, Hauptsache „dass“. Für Martin Bubers „Du“
wollen wir nicht Platz machen, aber für die hungernden Kinder in
Afrika schon. Wir leben im Zeitalter des egomanischen
Hyperengagements oder Engagement-to-go.
„Greise
glauben alles. Männer bezweifeln alles. Junge wissen alles.“ Eine
kurze, knackige Aussage aus der Entwicklungspsychologie, könnte man
meinen. Aber das Zitat stammt von Oscar Wild. Es zeigt die
Entwicklung vom Wissen zum Glauben - wenn auch in umgekehrter
Reihenfolge. Eine wissenschaftlich fundierte Theorie zur Entwicklung
der menschlichen Psyche findet sich aber zum Beispiel beim
Neo-Freudianer Erik Erikson. Er versteht den menschlichen Lebensweg
als eine Identitätssuche, die sieben Phasen durchläuft. Eine ist
die sogenannte Generativität, die um das 30. Lebensjahr verortet
ist. In dieser Phase möchte man schöpferisch tätig sein. Entweder
in dem man eine eigene Familie gründet oder indem man sich
gesellschaftlich engagiert. Kein Wunder also, dass wir im Zeitalter
des Engagement-to-go leben. Denn im egomanischen Raum ist kein Platz
für Martin Bubers „Du“, für den wirklichen Dialog. Das „Du“
ist einfach zu intim, zu kräfteraubend, zu „ich-erdrückend“ -
was man vom gesellschaftlichen Engagement nicht sagen kann. Dieses
ist oberflächlich, kräftespendend, „ich-erhöhend“.
Was
für ein Glück, dass es Spendengalas gibt! Ein Erdbeben hier, eine
Hitzedürre dort. Sofort wird zu Geldspenden aufgerufen und sofort
wird eifrig Geld gespendet. Was für ein Glück, dass solche
Möglichkeiten staatlich organisiert gegeben sind. Andernfalls könnte
man sich ja nicht engagieren. Denn dann wüsste man nicht, wo man
sich überall gesellschaftlich engagieren sollte. In den Savannen
Afrikas? In den Regenwäldern Costa Ricas? Oder doch eher in den
Favelas in Brasilien? Und steht die Örtlichkeit endlich fest, taucht
eine weitere Frage auf: Welches Klientel muss gerettet werden? Sind
es die armen, hungernden Kinder? Ihre kranken Mütter? Oder doch eher
ihre schwulen Onkel?
Ein
unendlicher Wust aus Fragen, der einem wie die Faust aufs Auge
schlägt. Solange bis das Auge grün, blau, geschwollen und eitrig
wird. Und man vor lauter Fragen nichts mehr sehen kann - sowohl mit
dem physischen als auch mit dem geistigen Auge. Zuerst Schmerz und
Wärme. Danach Blackout, das Licht ist aus. Doch Moment! Mit
allerletzter Kraft erblickt das gekränkte Auge etwas. Eine Nummer.
Nicht irgendeine Nummer, sondern diese eine Nummer: DIE Kontonummer
einer Spendengala. Endlich. Wie viele Menschen starben? Wie viele
leiden? Was ist passiert? Ach, das sind doch alles Nebensachen. Es
wird zur Spende aufgerufen und nur das zählt. Ein Engagement muss
hier sowieso richtig sein, das ist doch selbstredend. Also
Kontonummer her, weg mit dem Geld und das Auge ist wieder gesund. Das
nächste Ereignis lässt bestimmt nicht lange
auf
sich warten.
Und
wenn solch ein Ereignis eben ausbleibt, kann man sich trotzdem noch
mit Minimalaufwand engagieren. Die Idee des jungen Trevor aus dem
amerikanischen Film „Das Glücksprinzip“ wirkt doch viel zu
anstrengend und zu kompliziert. Man soll drei Menschen etwas Gutes
tun, die wiederum etwas Gutes für drei weitere tun und so weiter und
so fort. Viel zu anstrengend! Wenn es also gar nicht mehr geht, kauft
man für sich und seine Freunde einen Kasten Krombacher Bier und
rettet somit den Regenwald. „Puh! Gerade noch Glück gehabt. Der
Laden hatte fast geschlossen.“ Sonst wäre es mit dem Engagement
nichts mehr geworden. Und das schlechte Gewissen hätte keine Ruhe
mehr gegeben. Aber so heißt es nun: Kaufen, saufen, selbstaufopfern.
Und alles nur für den Regenwald. Das ist der Wind der Generativität.
Ist
man aber kein Bierliebhaber oder hat man etwas mehr Zeit, so kann man
auch Kinder unterstützen. Aber bitte nicht seine eigenen oder die in
Deutschland lebenden Kinder. Nein, es muss etwas exotisches, fernab
von Deutschland sein, wie beispielsweise Kinder aus Afrika oder
Indien. Denn ihnen geht es wesentlich schlechter als uns. Und
außerdem sind sie doch „so süüüß“. Also werden ein paar Euro
aus der eigenen Tasche an das SOS-Kinderdorf gegeben und schon ist
man engagiert. Doch wird diesen Kindern von dem Geld je geholfen?
Durch wie viele Zwischenstellen sickert das Geld auf fast null durch?
Warum interessiert gerade das unsere engagierten Aktivisten nicht?
Egal
ob kopflos, ob gedankenlos, ob herzlos. Hauptsache eben engagiert.
Denn Engagement ist heutzutage alles. Da kümmert es einen nicht, ob
es sinnvoller wäre, seinem eigenen Kind oder dem Nachbarkind
mehr Aufmerksamkeit und Zuwendung zu schenken. Aber diese Option
fällt sowieso weg. Denn wer sieht und honoriert dementsprechend das
Engagement? Kein Schwein interessiert sich dafür, ob man sich um
sein eigenes Kind kümmert oder nicht. Hauptsache es ist ordentlich
gekleidet, hat sein eigenes Smartphone und spricht mindestens vier
Sprachen. Ob es sich geliebt fühlt oder nicht spielt nur eine
Nebenrolle. Diese Form des Engagement fällt von vornherein weg.
Doch
was ist mit Goethes Ausspruch, dass jeder vor seiner Haustür kehre
und die Welt somit eine bessere werde? Am besten einfach ignorieren.
Man macht sich doch nur die Hände schmutzig und leistet sich
womöglich noch irgendeinen Fehler, den man ausbaden muss. Da ist die
Spende an das SOS-Kinderdorf, das irgendwo in den Steppen Afrikas
gelegen ist, wesentlich sauberer. Keine Nachteile, nur Vorteile: Kein
direkter Kontakt mit den Leidenden. Keine Opferung der eigenen
kostbaren Freizeit. Und keine Konfrontation mit etwaigen
Schwierigkeiten. Die eigene gute Laune bleibt unangetastet. Sie
bleibt nämlich frei vom Schmutz des Leides, der Armut und des
Elends. „Sollen sich ruhig andere hiermit auseinandersetzen“ -
mit diesem unangenehmen Part des Engagements.
Das
Gefühl Gutes getan zu haben, etwas an die Gesellschaft zurückgegeben
zu haben, bleibt jedoch. Und die Konfrontation mit den dreckigen
Aspekten des Lebens, wie Leid, Elend und Kummer, oder den Problemen
nahestehender Personen (Martin Bubers „Du“), ist auf einige
Minuten pro Monat oder pro Jahr beschränkt. Je nachdem, wann man
seine Spendenquittung ausfüllt. 1 zu 0 für das SOS-Kinderdorf also.
Ganz eindeutig, ohne wenn und aber. Unpersönlich, schnell und
sauber. Und für die ganz Ungeduldigen: die nächste Spendengala
lässt bestimmt nicht lange auf sich warten.
Aber
zum Glück gibt es - wenn auch in dekadenter Form - dieses
gesellschaftliche Engagement. Denn wer weiß, wie es sich ohne leben
würde? Doch wäre es nicht vernünftiger Goethe zu folgen und sich
erstmals um sein persönliches, familiäres Umfeld zu kümmern? Das
eigene Ego wird zwar nicht immer von außen lobgepudelt und mit Lob
besudelt, aber man tut etwas einmaliges für das „Du“, es findet
echte zwischenmenschliche Begegnung statt. Vielleicht ist das die
Lösung gegen das Heranzüchten all der in der Welt irrenden
Egomanen, Orientierungslosen und Unglücklichen? Außerdem, wer
wenn nicht wir, soll mit dem eigenen Dreck am besten umgehen?
Der
Egomanietrieb ist anscheinend zu stark. Und was ist das Ergebnis,
wenn Egomanie und Generativität aufeinander treffen? Das egomanische
Hyperengagement. Ob Falco den Aspekt der Generativität sah, sei
dahingestellt, aber Recht, das hat er:
Die
ganze Welt dreht sich um mich,
denn
ich bin nur ein Egoist.
Der
Mensch, der mir am nächsten ist,
bin
ich, ich bin ein Egoist.
Falco,
Egoist